Ein argentinischer Film, der so eigentlich überall spielen könnte.
Denn er nimmt sich eines Themas an, bisher kaum filmisch oder
literarisch behandelt wurde. Das Schicksaal von Menschen, die zwischen
den Geschlechtern stehen. Alex, fünfzehn Jahre alt, hat das Gesicht
eines hübschen Mädchens, mit wilden schwarzen Locken, benimmt sich aber
mit ihrem schlaksigen Gang und ihrer rotzfrechen Art nicht sehr feminin.
Mit ihren Eltern wohnt sie in einem abgeschiedenen Fischerort. Ein Paar
kommt zu Besuch, mit ihrem pubertierenden Sohn Alvarez. Den fragt Alex
bei ihrer ersten Begegnung gleich, ob er nicht mit ihr schlafen wolle,
sie hätte es nämlich noch nicht getan. Alvarez ist irritiert und
fasziniert von dem spröden Mädchen. Er trottet ihr hinterher durch den
Ort, mit seinen Kopfhörern versunken in seiner eigenen Welt und ziemlich
tollpatschig. Was mit Alex los ist, wird zunächst nur angedeutet, durch
Puppen, die sie mithilfe von Zigarettenstummeln mit einem Penis versieht und den
Büchern, die sie liest. Medikamente, die sie nicht mehr nimmt. Alex ist intersexuell und scheint alle möglichen Geschlechtsmerkmale von Mann und Frau zu besitzen. Ihre
Eltern machen sich Sorgen und wissen nicht, was das Richtige ist. Der
Mann, den die Mutter eingeladen hat entpuppt sich als Chirurg, der
Erfahrung mit geschlechtsangleichenden Operationen hat. So repräsentiert
das Paar die Gesellschaft, die Druck ausübt, alles der Norm anzupassen.
Der Vater, zu dem Alex eine engere Beziehung zu haben scheint, als zur
Mutter, hat jedoch mehr Verständnis und lehnt die Operation ab. Die
beiden Jugendlichen und die Erwachsen leben jeweils in ihrer eigenen
Welt und kommunizieren kaum miteinander. Alex, die immer einen Spruch
parat hat, ist eigentlich selbst zutiefst verunsichert und verletzlich.
„Sie“ überrumpelt Alvaro schließlich mit Küssen und schläft mit ihm,
wobei „sie“ oben ist. Der Vater hat sie beobachtet und Alex läuft erst
Mal weg. Dann taucht noch ihr eigentlich bester Freund wieder auf, dem
sie bei einem Streit die Nase gebrochen hatte und Alvaro, der sich
eingestehen muss, dass ihm der Sex eigentlich gefallen hat, versucht
Alex näher zukommen, sie entzieht sich jedoch allen und glaubt nicht,
dass sie jemand versteht.
Mit düsterer Bildsprache und eindringlicher Intensität erzählt der
Film Alex' Geschichte und die ihrer Eltern und Freunde. Er schafft es,
Emotionen zu wecken, auch ohne, dass man sich leicht mit den Figuren
identifizieren kann. Traut sich Leerstellen zu lassen, den Zuschauer
nicht vorzuschreiben, wie er die Dinge zu sehen hat, auch wenn er klar
Stellung dafür bezieht, dass man sich nicht entscheiden muss, für die
Norm, für ein Geschlecht, eine sexuelle Orientierung. Besonders
beeindruckt die Leistung der jungen Schauspieler Inès Efron – beim
Zuschauen fragt man sich, wie eine Fünfzehnjährige so etwas spielen kann
– kann sie gar nicht, in Wirklichkeit ist Inès Efron sieben Jahre älter
als ihre Rolle, aber das ist in keiner Sekunde zu merken und macht
umsehr mehr deutlich, wie gut sie es vollbracht hat, sich in die Rolle
einzufinden. Ein Film, der einen tief bewegt, erschüttert, nachdenklich
zurücklässt. Allein die Szene, in der Alex bei einer Freundin ist, und
diese über ihre ersten sexuellen Erfahrungen mit ihrem Cousin spricht
wäre überflüssig gewesen. Zweimal wird erwähnt, dass Überreden zu Sex
dem anderen hinterher doch gefallen hat, was ich etwas problematisch
finde, aber darüber kann man sich ja jeder selbst ein Urteil bilden und
mit der sexuellen Nötigung durch neugierige und brutale Jugendliche aus
dem Dorf geht Familie vorbildlich um.
Einziges Manko war, dass der Film teilweise zu viel wollte, zu viele
Figuren vorkamen, der Fokus hätte mehr auf Alex und Alvaro und ihren
Eltern ruhen können. Ihre Mutter bleibt seltsam unscharf. Aber das
schmälert nicht die Tatsache, dass dies ein wichtiger Film zu einem wichtigen Thema ist.
Regie, Drehbuch: Lucia Puenzo
Darsteller: Ines Efron, Martín Piroyansky, Ricardo Darín
Drehort: Argentinien
DVD: ein kurzes Making-of mit interessanten Interviews mit den Schauspielern, Regisseurin und Kamerafrau.
Bild: © Kool Filmdistribution
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