Samstag, 16. März 2013

XXY - Filmrezension

Ein argentinischer Film, der so eigentlich überall spielen könnte. Denn er nimmt sich eines Themas an, bisher kaum filmisch oder literarisch behandelt wurde. Das Schicksaal von Menschen, die zwischen den Geschlechtern stehen. Alex, fünfzehn Jahre alt, hat das Gesicht eines hübschen Mädchens, mit wilden schwarzen Locken, benimmt sich aber mit ihrem schlaksigen Gang und ihrer rotzfrechen Art nicht sehr feminin. Mit ihren Eltern wohnt sie in einem abgeschiedenen Fischerort. Ein Paar kommt zu Besuch, mit ihrem pubertierenden Sohn Alvarez. Den fragt Alex bei ihrer ersten Begegnung gleich, ob er nicht mit ihr schlafen wolle, sie hätte es nämlich noch nicht getan. Alvarez ist irritiert und fasziniert von dem spröden Mädchen. Er trottet ihr hinterher durch den Ort, mit seinen Kopfhörern versunken in seiner eigenen Welt und ziemlich tollpatschig. Was mit Alex los ist, wird zunächst nur angedeutet, durch Puppen, die sie mithilfe von Zigarettenstummeln mit einem Penis versieht und den Büchern, die sie liest. Medikamente, die sie nicht mehr nimmt. Alex ist intersexuell und scheint alle möglichen Geschlechtsmerkmale von Mann und Frau zu besitzen. Ihre Eltern machen sich Sorgen und wissen nicht, was das Richtige ist. Der Mann, den die Mutter eingeladen hat entpuppt sich als Chirurg, der Erfahrung mit geschlechtsangleichenden Operationen hat. So repräsentiert das Paar die Gesellschaft, die Druck ausübt, alles der Norm anzupassen. Der Vater, zu dem Alex eine engere Beziehung zu haben scheint, als zur Mutter, hat jedoch mehr Verständnis und lehnt die Operation ab. Die beiden Jugendlichen und die Erwachsen leben jeweils in ihrer eigenen Welt und kommunizieren kaum miteinander. Alex, die immer einen Spruch parat hat, ist eigentlich selbst zutiefst verunsichert und verletzlich. „Sie“ überrumpelt Alvaro schließlich mit Küssen und schläft mit ihm, wobei „sie“ oben ist. Der Vater hat sie beobachtet und Alex läuft erst Mal weg. Dann taucht noch ihr eigentlich bester Freund wieder auf, dem sie bei einem Streit die Nase gebrochen hatte und Alvaro, der sich eingestehen muss, dass ihm der Sex eigentlich gefallen hat, versucht Alex näher zukommen, sie entzieht sich jedoch allen und glaubt nicht, dass sie jemand versteht.
Mit düsterer Bildsprache und eindringlicher Intensität erzählt der Film Alex' Geschichte und die ihrer Eltern und Freunde. Er schafft es, Emotionen zu wecken, auch ohne, dass man sich leicht mit den Figuren identifizieren kann. Traut sich Leerstellen zu lassen, den Zuschauer nicht vorzuschreiben, wie er die Dinge zu sehen hat, auch wenn er klar Stellung dafür bezieht, dass man sich nicht entscheiden muss, für die Norm, für ein Geschlecht, eine sexuelle Orientierung. Besonders beeindruckt die Leistung der jungen Schauspieler Inès Efron – beim Zuschauen fragt man sich, wie eine Fünfzehnjährige so etwas spielen kann – kann sie gar nicht, in Wirklichkeit ist Inès Efron sieben Jahre älter als ihre Rolle, aber das ist in keiner Sekunde zu merken und macht umsehr mehr deutlich, wie gut sie es vollbracht hat, sich in die Rolle einzufinden. Ein Film, der einen tief bewegt, erschüttert, nachdenklich zurücklässt. Allein die Szene, in der Alex bei einer Freundin ist, und diese über ihre ersten sexuellen Erfahrungen mit ihrem Cousin spricht wäre überflüssig gewesen. Zweimal wird erwähnt, dass Überreden zu Sex dem anderen hinterher doch gefallen hat, was ich etwas problematisch finde, aber darüber kann man sich ja jeder selbst ein Urteil bilden und mit der sexuellen Nötigung durch neugierige und brutale Jugendliche aus dem Dorf geht Familie vorbildlich um.
 Einziges Manko war, dass der Film teilweise zu viel wollte, zu viele Figuren vorkamen, der Fokus hätte mehr auf Alex und Alvaro und ihren Eltern ruhen können. Ihre Mutter bleibt seltsam unscharf. Aber das schmälert nicht die Tatsache, dass dies ein wichtiger Film zu einem wichtigen Thema ist.

Regie, Drehbuch: Lucia Puenzo
Darsteller: Ines Efron, Martín Piroyansky, Ricardo Darín
Drehort: Argentinien

DVD: ein kurzes Making-of mit interessanten Interviews mit den Schauspielern, Regisseurin und Kamerafrau.

Bild: © Kool Filmdistribution

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