Ich rezensiere ja nur Sachen, die mir gut gefallen und
ich habe mir vorgenommen, alles zu rezensieren, was mir gut gefällt und
irgendwie was mit LGBTI-Themen zusammenhängt. Deshalb rezensiere ich jetzt auch
online frei verfügbare Texte, von Fanfiktion, boyxboy oder anderen Seiten.
Besonders, wenn ich finde, dass die Texte mehr Aufmerksamkeit verdienen. Texte
im Netz müssen nicht schlechter sein als gedruckte Bücher oder ebooks, die man
kaufen kann. Ganz im Gegenteil. Die letzten beiden Texte, die ich auf Fanfiktion
gelesen habe, haben mir besser gefallen, als die meisten Bücher, die ich je im
Genre als Buch gelesen habe. Da der Markt ja in Deutschland nicht besonders
groß ist, denn die Leserschaft ist zwangsweise begrenzt, haben es deutsche
Autoren nicht gerade leicht, bei größeren Verlagen zu erscheinen. Oder wisst
ihr ein Jugendbuch mit schwuler Hauptfigur eines deutschen Autoren/in, das in
den letzten zehn Jahren bei einem größeren Verlag erschienen ist? Ich
jedenfalls weiß keines, da fällt mir immer nur David Levithan ein. Bei Büchern
für Erwachsene gibt es zwar öfter mal Ausnahmen, und es gibt ja auch einige
spezialisierte deutsche Verlage, aber da Absolut Talentfrei mit dem Coming-Out
und ersten Verliebtsein für mich ins Jugendbuchgenre fällt, habe ich mir
darüber mal Gedanken gemacht.
Im Internet lassen sich jedenfalls eine Menge ziemlich
guter (natürlich auch ziemlich schlechter) Texte für Jugendliche und für
Erwachsene finden. Und seit ich einen eBook-Reader habe, lesen sich die auch
gut und schnell.
Ihr findet Absolut Talentfrei hier auf Fanfiktion. Da kann man sich alle Texte
auch als eBook runterladen.
Jetzt aber zur eigentlichen Rezension: Absolut
Talentfrei, das ist Sam nach eigener Angabe. 16 Jahre alt, in der zehnten
Klasse, hat Sam sich bisher noch nie verliebt. Nur mit seinem besten Freund
Iven hat er schon mal ein bisschen ausprobiert. Aber dann kann Sam sich
plötzlich vor Verehrern gar nicht mehr retten. Blöd nur, dass man sich nicht
immer in denjenigen verliebt, der einen auch zurückliebt.
In Absolut Talentfrei gibt es eine ganze Reihe
von wunderbaren Charakteren. Da ist zunächst Sam selbst, eigentlich ja
Außenseiter in der Klasse, denn er ist ja Indie und will mit den Hipstern
nichts zu tun haben. Dass er so viel Wert auf sein Aussehen legt und seinen
Rockabilly-Stil pflegt, hat natürlich gar nichts damit zu tun, dass er schwul
ist. Und wie kommt Cameron, der amerikanische Austauschstudent überhaupt
darauf, ihn nach einem Date zu fragen? Cameron ist zwar der Schwarm der Klasse,
gutaussehend, süß, Musiker, aber leider gar nicht Sams Typ. Denn Cameron ist
der typische Sunnyboy - immer lächelnd, aber nicht besonders intelligent.
Als Sam dann auch noch beinahe mit einer Klassemkameradin
schläft und sich dann in einen sieben Jahre älteren Türsteher verliebt,
überschlagen sich die Ereignisse.
Absolut Talentfrei ist definitiv etwas für Fans von David Levithan oder
John Green. Es ist aber keine typische Teenieromanze. Denn dafür sind die
Figuren viel zu realistisch gezeichnet und haben mehr Tiefe als in den
meistenTeenieromanzen. Sam und Iven lesen in ihrer Freizeit Psychologiebücher,
Sam schmeißt mit literarischen Referenzen um sich, er reflektiert permanent
über sich selbst. Doch dass er einsieht, dass er manchmal ein Arschloch ist,
lässt ihn trotzdem nicht besser handeln. Einige Male möchte man Sam schlagen
und wünscht sich fast, der arme Cameron möge sich in einen anderen verlieben.
Aber Sam ist als Erzähler gerade wegen seiner Schwächen ungemein liebenswert.
An einigen Stellen erinnert Absolut Talentfrei ein wenig an Glee (was
nicht wundert, die Autorin schreibt auch Gleefanfiks), so wenn Iven sich in den
gutaussehenden Schwarm seines Schulchores verliebt, den er ja eigentlich gar
nicht mag. Denn Cas ist ein Aufreißer und Iven ein hoffnungsloser Romantiker.
Aber sogar der so perfekt und glücklich wirkende Cas hat ein düsteres
Geheimnis. Dass nicht nur die Hauptfiguren, sondern auch die Nebencharaktere so
viel Tiefe entwickeln, macht Absolut Talentfrei zu etwas Besonderem. Der
Grund, dass ich so viele Jugendbücher schnell abbreche ist, dass ich mit
Mädchen, die sich als Mauerblümchen fühlen, aber plötzlich mit dem
gutaussehenden aber ansonsten eigenschaftslosen Schulschwarm zusammenkommen,
nichts anfangen kann. Vor allem werden 16-jährige in Jugendbüchern häufig wie
Zwölfjährige dargestellt, da die Bücher ja auch von Zwölfjährigen gelesen
werden. Das hier ist natürlich nicht als Jugendbuch gekennzeichnet, es ist ja
(noch) nicht als Buch erschienen, daher ist es erfrischend über Jugendliche zu
lesen, die ähnlich waren, wie ich in dem Alter. Denn 16-jährige interessieren
sich nicht nur für ihr Aussehen - wie habe ich damals Philosophiebücher
verschlungen, Hesse gelesen, Indiemusik gehört, und natürlich niemals zum
Mainstream gehören wollen. Allein dass Sam einen Rockabilly-Stil hat, finde ich
toll. Ich liebe den Stil und man liest selten über Figuren, die sich so
kleiden. Ich glaube, ich hätte Sam ziemlich cool gefunden, wenn er in meine
zehnte Klasse gegangen wäre.
Art-Sensei schafft es, einen komplett in die
Geschichte eintauchen zu lassen und es entwickelt sich ein Sog der Ereignisse,
der es mir kaum ermöglichte, meinen eBook-Reader aus der Hand zu legen.
Auch stilistisch hält der Text ein hohes Nivea. Sams
Art die Welt zu sehen ist einfach unvergleichlich und immer wieder gibt es
lustige Stellen und schöne Vergleiche. Es gibt keine Längen und Tippfehler habe
ich nur wenige gefunden.
Nur das Ende kam mir ein wenig gehetzt vor, hier hätte
ich mir gewünscht, die Autorin hätte sich etwas mehr Zeit gelassen. Besonders
die süßen Gespräche zwischen Sam und Iven habe ich am Ende vermisst. Aber wer
weiß, eine Fortsetzung hat sie angekündigt. Hoffen wir, dass sie sie auch
schreibt, denn ich würde wirklich gerne mehr über Sam, Iven, Cameron und Cas
lesen.
Insgesamt bin ich jedoch ziemlich beeindruckt, wie die
21-jährige Autorin (vielleicht gerade weil bei ihr die Teeniezeit noch nicht so
lange her ist) gestandene Jugendbuchautoren locker in die Tasche steckt.
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen
Wenn du auf meinem Blog kommentierst, werden die von dir eingegebenen Formulardaten (und unter Umständen auch weitere personenbezogene Daten, wie z. B. deine IP-Adresse) an Google-Server übermittelt. Mehr Infos dazu findest du in meiner Datenschutzerklärung (https://celiajansson.blogspot.de/p/blog-page_16.html) und in der Datenschutzerklärung von Google.