Sonntag, 19. Oktober 2014

Any day now

Ich bin immer noch etwas unsicher, wie ich den Film Any day now finden soll. Es ist kein typischer Film über ein schwules Paar, das wird schnell klar. Angesiedelt ist er Ende der Siebziger in den USA.
Als der gutsituierte Anwalt Paul in einer Bar die Drag Queen Rudy kennen lernt, ändert das für beide ihr Leben. Paul ist geschieden und wahrscheinlich möchte er jetzt endlich auch seine Neigung zu Männern ausleben. Rudy performt in Glitzerekostümen zu Popsongs und flirtet Paul offensiv an. Sie landen in Pauls Auto, es gibt einen Gefallen für Paul. Doch dann klopft ein Polizist an der Scheibe. Rudy zeigt sein Temperament, das manchmal mit ihm durchgeht, beschimpft den Polizisten, während Paul die Situation schlichtet. Von hier an könnte man meinen, dass es sich um einen Liebesfilm handelt, doch dann sieht man Rudy allein in seinem heruntergekommenen Apartment, bei dem er die Miete schuldig bleibt. Eine verlorene Puppe im  Flur bringt alles ins Rollen. Sie gehört dem Sohn seiner Nachbarin, einem Jungen mit Down-Syndrom. Die Mutter ein Junkie mit pöbelndem Freund. Am Morgen ist sie verschwunden, der Junge allein in der Wohnung. Und für Rudy ist augenblicklich klar, er will verhindern, dass der Junge ins Heim oder in eine miese Pflegefamilie muss. Also nimmt er den Jungen, Marco, bei sich auf. Es beginnt ein Kampf um das Recht für den Jungen zu sorgen. Rudy erhofft sich Hilfe von Paul, der zunächst ablehnt. Doch dann besinnt er sich auf sein gutes Herz und bietet sogar an, dass Rudy und Paul bei ihm wohnen können. Alles scheint gut zu gehen, als Marcos Mutter, die inzwischen im Gefängnis sitzt, unterschreibt, dass Rudy für Marco sorgen darf. Doch so soll es nicht bleiben. Any day now ist ein Film über die Ungerechtigkeit des Justizsystems und die Doppelmoral der Gesellschaft.

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Die Geschichte beruht grob auf einer wahren Begebenheit. Dass man Junkies Kindern zuspricht, aber einem schwulen Paar nicht zutraut, für ein Kind zu sorgen, das sonst niemand haben will, ist etwas, dass in einigen Ländern auch heute passieren könnte. Der Film verzichtet komplett auf Rührseligkeiten, es ist kein schnulziges Hollywood-Drama. Das ist einerseits sehr erfrischend, andererseits spart der Film manchmal zu sehr an Emotionen, setzt zu sehr auf Distanz. Die Beziehung zwischen Rudy und Paul entwickelt sich von null auf hundert, und bleibt so leider etwas unglaubwürdig. Auch wenn es schön ist, einen Film zu sehen, bei dem der Fokus mal nicht auf der Beziehung der beiden Männer liegt, hier hätte man den Figuren doch etwas mehr Tiefe geben können. Vor allem Paul bleibt leider etwas blass. Und auch Marco ist irgendwie schwer zu fassen. Im Interview verrät Regisseur und Drehbuchautor  Travis Fine, dass Marco ursprünglich aggressiver sein sollte. Doch die ruhige und freundliche Art des Marco-Schauspielers hat ihm klar gemacht, dass das unrealistisch war. Marco ist ein vernachlässigtes Kind, das unter der Förderung seiner neuen Eltern schnell aufblüht, aber er bleibt sehr still und hat kaum Dialog. Es ist schwer zu sagen, woran es liegt, doch leider bleibt weitgehend unklar, was Rudy und Marco so sehr aneinander bindet. Es sind nur wenige Details aus  Leben, die man zu sehen bekommt, und die werden auch noch im Zeitraffer gezeigt. Dies ist mein größter Kritikpunkt des Films, dass man den Kern des Films, die Beziehung zwischen Rudy und Marco nur rational verstehen kann. Natürlich kann man nachvollziehen, warum Rudy sich um Marco kümmern möchte, man versteht auch, dass er das gut tut. Doch leider wird hier an falscher Stelle an Details gespart, die auch eine emotionale Verbindung hätten erzeugen können. Am Ende steht eine deutliche Anklage, die berechtigt ist, einen dann doch empört und traurig zurücklässt.
Was den Film jedoch so sehenswert macht ist vor allem die Performance von Alan Cumming. Dass er selbst ein LGBT-Aktivist ist, hatte ich schon einmal gehört. Er ist offen bisexuell und bekam einen Tony für seine Rolle im Cabaret-Musical. Im Fernsehen ist er leider meist nur in Nebenrollen zu sehen (Good Wife). Dabei zeigt er in Any day now, dass er so viel mehr kann. Dafür, dass er gar keine Lust hatte, eine Drag Queen zu spielen, macht er das fantastisch. Dass man überhaupt eine Drag Queen mal so sieht, mit so vielen Facetten ist schon ungewöhnlich. Rudy ist tuntig, ist aufgedreht, laut, aber er ist auch sehr fürsorglich wenn es um Rudy geht. Und er entwickelt sich im Laufe des Films am meisten. Dagegen wirkt Garret Dillahunt als Paul leider etwas blass. Die Gesangsperformance am Ende des Films ist die schönste Szene im Film. Cumming hat eine wunderbare fragile Stimme, und in dieser Szene sieht man endlich auch all die Emotionen, die man vorher vermisst hat.
Any day now hat bei mir einen sehr zwiegespaltenen Eindruck hinterlassen. Einerseits ist es ein ungewöhnliches Thema, andererseits diese Message heute etwas veraltet; wird die große Moralkeule geschwungen, wenn wohl jedem der sich für LGBT-Rechte interessiert schon klar ist, dass was im Film passiert falsch ist. Doch leider scheint es Fälle wie diesen in den USA immer noch zu geben, auch wenn es in einigen Staaten inzwischen Gay Marriage und ein Adoptionsrecht gibt. Und es gibt Menschen wie Rudy und Paul, die für ihre Rechte kämpfen und damit erfolgreich sind, wie dieser  Fall zeigt. Und auch in Deutschland ist es nicht überall selbstverständlich, dass schwule und lesbische Pflegeeltern angenommen werden. Aber ob so eine Schock-Geschichte der richtige Ansatz ist, weiß ich auch nicht. Letztlich lohnt sich der Film vor allem wegen Alan Cumming, allein wegen seiner Performance sollte man sich ihn anschauen.




USA 2012, Regie und Drehbuch: Travis Fine, keine deutschen Untertitel

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